Ein Blog aus Hamburg über Hamburg. Eine humorvolle Betrachtung des alltäglichen Treibens. Es geht um die Menschen und die Ereignisse in der Hansestadt. Die komischen Menschen und die komischen Ereignisse. Kleine Ereignisse in der großen Stadt. Leise Töne in einer lauten Umgebung. Amüsant, unterhaltend, manchmal wirr. Eben 'Tüdelkram from Hamburg'.



17. April 2015

Stein, Schere, Knockout

Es gibt verschiedene Situationen, in denen man in Hamburg mit dem Schlimmsten rechnen und auf der Hut sein sollte. Beispielsweise während einer Bahnfahrt nachts um vier mit der S-Bahn ab Reeperbahn. Oder bei einem nächtlichen Spaziergang durch´s beschauliche Billstedt. Oder wenn man sich auf dem DOM am Autoscooter vordrängelt. Oder auf dem Hafengeburtstag. Oder am 23. Dezember auf der Mönckebergstraße. Oder, oder, oder...

Was aber für gewöhnlich nicht zu diesen Situationen dazugezählt werden muss, ist eine Busfahrt nachmittags um drei von Winterhude über Alsterdorf Richtung Flughafen.
Zumindest dachte ich das bisher.


Da stehe ich also in meiner Haus- und Hoflinie 114 und werde unfreiwillig Zeuge nie geahnter Aggression und Gewalt.
Drei junge Menschen, ein Junge und zwei Mädchen um die zehn Jahre alt, erwecken meine Aufmerksamkeit. Zunächst eigentlich nur deshalb, weil sie, wie alle ihre Altersgenossen, keinerlei Gespür für Lautstärke besitzen. Doch es kommt noch schlimmer.

Meistens harmlos. Meistens...



Eines der Mädchen schlägt vor, das allseits beliebte und bekannte "Stein-Schere-Papier" zu spielen. Auch bekannt als Schnick-Schnack-Schnuck, Ching-Chang-Chong oder, wie ich nachgelesen habe, als Schnibbeln, Knobeln und Schniekern.
Die Nerds unter Euch kennen sicherlich auch die Erweiterung Stein-Schere-Papier-Echse-Spock. Soll hier nur am Rande miterwähnt werden. Diese Variation ist überdies wenig zu empfehlen, da es meistens unentschieden endet.

Zurück zur Bus-Situation. Leicht schmunzelnd füllt sich mein Kopf mit herzerwärmenden Kindheitserinnerungen. Ein harmloser und lustiger Spaß für die ganze Familie, dieses Schnick-Schnack-Schnuck. Man hat es mit Freunden und Geschwistern gespielt. Sogar mit Eltern und Großeltern. Und nach dem Spiel hüpfte man lachend und pfeifend Hand in Hand auf die Wiese und pflückte Blumen. Oder so ähnlich.
Na jedenfalls erwartete ich auch jetzt einen angenehm gewaltbefreiten Kinderspaß. Doch weit gefehlt. In diesem Moment werden die Regeln erklärt.
Für gewöhnlich, wir erinnern uns, wickelt Papier den Stein ein, Schere schneidet Papier, und so weiter. Wer mag, notiert daraufhin Punkte. Oder, um auch das letzte bisschen Konfliktpotenzial zu vermeiden, man spielt es einfach nur so.
Doch diese drei Halbwüchsigen erörtern eine mir bis dato völlig unbekannte Variante: der Sieger darf den Verlierer mit nackter Gewalt bestrafen! Hier die kurze Übersicht des Strafregisters:

Sieg mit "Stein": Faustschlag auf den Oberarm
Sieg mit "Schere": Kneifen in den Unterarm
Sieg mit "Papier": klassische Backpfeife

Wer jetzt spontan die legendären Bud Spencer und Terence Hill Filme vor Augen hat, liegt nicht ganz daneben. So in etwa sah das Ganze dann nämlich aus.
Schnick-Schnack-Schnuck...BAMM...auf den Arm. Schnick-Schnack-Schnuck...PATSCH...in die Fresse. Schnick-Schnack-Schnuck...ZWICK...der Arm wird rot.
Mit zunehmender Spieldauer fällt es mir und auch den daneben sitzenden Fahrgästen immer schwerer, zuzusehen. Diese Gewaltorgie nimmt rasant an Fahrt auf. Immer schneller fliegen die Fäuste. Grausam!

Wie konnte es zu so einer Entwicklung kommen? In diesem Moment stelle ich mir ein Spiel vor Jahren mit meiner Oma vor. Ich nehme Papier, sie Stein. Und...ZACK...in your face! Unvorstellbar!
Im weiteren Verlauf sehe ich gedanklich ganze Kindergruppen vor mir, die, sich gegenseitig stützend, nach der Schule nach Hause humpeln. Mit blauen Augen, aufgerissenen Armen und ausgekugelten Schultern. Doch keine wilde Schulhof-Schlägerei, sondern das populäre Spielchen Stein-Schere-Papier ist der Grund für diese zombiehafte Wandergruppe.

Und wo soll das noch hinführen? Vermutlich trifft sich diese Generation in einigen Jahren auf Hinterhöfen oder im Rahmen geheimer Fight-Clubs. Das Strafregister wird dann natürlich entsprechend angepasst:

Sieg mit "Stein": wahlweise Kinn- oder Leberhaken (ohne Vorankündigung)
Sieg mit "Schere": Stechen in die Augen
Sieg mit "Papier": satter Handkantenschlag auf den Kehlkopf

Die Partie ist dann gewonnen, wenn der Gegner aufgibt, seinen Namen nicht mehr weiß oder einfach stirbt. Gruselig!

Endlich erreichen wir meine Haltestelle. Ich kann mich vom Schlachtfeld entfernen.
Beim Aussteigen denke ich noch darüber nach, wie sich möglicherweise auch andere Kinderspiele ähnlich dramatisch verändern könnten. Mir kommen spontan "Der Plumpsack geht um" und "Sackhüpfen" in den Sinn. Schnell schüttele ich den Kopf. Versuche angewidert, die aufkommenden Bilder verschwinden zu lassen.

Und auf einmal erscheint mir "Looping Louie" mit Kurzen völlig banal...


3 Kommentare:

  1. Ist es nicht erschreckend, wenn man auf einmal zur Gesellschaftsgruppe der "früher war alles besser" gehört?
    Vielleicht sollte man dagegenanarbeiten und anfangen, Looping Louie mit Kurzen im Bus zu spielen.

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  2. Moin Ann-Sophie!
    Keine schlechte Idee. Und solange man selbst nicht der Fahrer ist, spricht auch nichts dagegen ;-)

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  3. "....Und nach dem Spiel hüpfte man lachend und pfeifend Hand in Hand auf die Wiese und pflückte Blumen". Bildlich stelle ich mir diese Szene sehr witzig vor ;)

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